Previous Page  5 / 16 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 5 / 16 Next Page
Page Background

„Man tankt wieder auf“

Gesang klinge, stellt Bossinger klar.

„Wichtig ist die innere Beteiligung; je

mehr Freude man beim Singen emp-

findet, desto stärker ist die positive

Wirkung.“ Darum empfiehlt er, Lieder

zu singen, die einem Spaß machen.

Ebenso gesundheitsfördernd sei es

auch, fünf bis zehn Minuten täglich

Vokale zu tönen, also zum Beispiel

ein langgezogenes A oder O in der

eigenen Wohlfühl-Stimmlage auf ein

Ausatmen zu singen. Die Atmung

verlangsame sich dabei, ebenso die

Gehirnwellen, der Parasympathikus

werde aktiviert. „Wenn wir singen, un-

terbrechen wir den Gedankenstrom,

dieses ständige Rattern im Kopf.“ Der

Körper entspannt, zugleich werden

die Resonanzräume beschwingt. „Wir

verabreichen uns damit selbst eine

Klangmassage“, erläutert Bossinger,

der an Kliniken Patientengruppen

zum heilsamen Singen leitet.

Für Arnd Reuver ist Musik ein Spiegel

seines Wohlbefindens, er könne mit

ihr aber ebenso seine Laune zum Po-

sitiven beeinflussen. Singen sei eine

gute Möglichkeit, seine Gefühle aus-

zudrücken und zu verwandeln, be-

stätigt Bossinger. Gerade pflegende

Angehörige empfinden ja häufig Trau-

er, wenn sie zum Beispiel den Verfall

des Pflegebedürftigen mitansehen

müssen, vielleicht auch Ohnmacht,

Wut oder Angst. „Wenn man sieht,

wie es mit jemandem zu Ende geht,

ist das schon schwer auszuhalten“,

sagt auch Roswitha Limmert über die

letzten Lebensjahre ihrer Mutter. Das

Singen im Chor half ihr durch diese

schwierige Zeit.

Mirjam Ulrich, freie Journalistin,

Wiesbaden

Durchatmen und drauflos sin-

gen – dazu animiert die Sän-

gerin Anja Lerch Menschen

jeden Alters bei ihren offenen

Singabenden.

Viele Menschen meinen, sie könn-

ten nicht singen. Was sagen Sie als

Sängerin dazu?

Viele bekamen das als Kind in der

Schule oder zu Hause zu hören.

Früher haben die Menschen mehr

zusammen gesessen und einfach

gesungen aus lauter Freude. Das

hat sich sehr verändert. Dabei ge-

hört Singen wie Tanzen einfach zum

Menschen dazu, ohne dass man

einen großen Perfektionsanspruch

haben sollte.

Sie bieten seit 2007 offene Singa-

bende an. Was ist das Schöne dar-

an, gemeinsam zu singen?

Man kommt unheimlich schnell in

Kontakt. Das Singen schlägt eine

Brücke zwischen den Menschen,

die Atmosphäre ist gelöst. Ich glau-

be, die Menschen haben auch eine

Sehnsucht danach, sich in einem

guten Sinne verbunden zu fühlen,

dass man etwas zusammen macht.

Wenn man singt, ist das wie ein Ab-

tauchen. Dadurch tankt man wie-

der auf und kann danach frisch und

beschwingt in den Alltag starten.

Wer kommt zu solchen Singaben-

den?

Der jüngste Teilnehmer ist ein

zwölfjähriger Junge, die älteste

Dame ist 87. Wenn wir englische

Lieder singen, singe sie halt ‚Lala-

la‘, sagte sie mir lachend. Die größ-

te Gruppe sind Menschen ab 40,

die Mehrheit sind Frauen. Die Män-

ner, die kommen, machen aller-

dings beständig mit.

Worin sehen Sie die Vorteile eines

offenen Singabends gegenüber ei-

nem Chor?

Dass man sich zeitlich nicht so bin-

det, man kann kommen wie man will.

Chöre sind oft auch eingeschränkt,

was die Liedauswahl betrifft. Bei den

Singabenden wird wirklich alles quer

durch den Garten gesungen, vom

Volkslied bis zum Rock-Song. Und es

ist egal, ob ein falscher Ton kommt.

Das Interview führte Mirjam Ulrich,

Journalistin, Wiesbaden

Termine für Anjas Singabende unter:

www.anjalerch.de

Die Sängerin Anja Lerch veranstaltet seit 2007 im Ruhrgebiet und am

Niederrhein offene Singabende.

5

Magazin für pflegende Angehörige